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Führung über den jüdischen Friedhof in Gangelt

© Ingrid Heim

Eines der noch ungelösten Rätsel ist, warum die Gangelter Juden den Friedhof eigentlich gar nicht haben wollten. Die preußische Regierung musste sie dazu zwingen, im Jahr 1877 die 478 Quadratmeter große Fläche – Ingrid Heim und ihre Enkelkinder haben sie mit einem Bandmaß vermessen – am Wirtsberg von der Gemeinde zu kaufen. Vielleicht wollten sie aus Tradition weiterhin ihre Toten auf dem jüdischen Friedhof in Heinsberg bestatten, wie sie es seit mehr als 200 Jahren taten. Vielleicht waren auch die 205 Mark zu viel für sie, die die Gemeinde für das landwirtschaftlich gar nicht nutzbare Gelände am Hang verlangte.

Die Juden in Gangelt hatten es ohnehin schwer: Erst um 1780 herum hatte es mehrfach so schwere und brutale Ausschreitungen der Dorfbevölkerung gegen die wenigen jüdischen Familien gegeben, dass das Militär anrücken und für Ruhe sorgen musste. Nur etwa vier Jahrzehnte später kam es bei der Einweihung der Synagoge zu Tumulten und eine schwerwiegende Schändung machte sie als Betraum unbrauchbar.

Lassen Sie sich die Geheimnisse dieses besonderen Ortes von der ehemaligen Lehrerin und Heimatforscherin Ingrid Heim bei unserem 90minütigen Rundgang über den jüdischen Friedhof in Gangelt näher erklären.

Wir bitten um ein ehrenvolles Gedenken – Shalom!

Zwei Jahre, nachdem der damalige Gemeindevorsteher Hertz Hertz (dies war sowohl sein Vor-, wie auch Nachname) den Kaufvertrag notgedrungen doch unterschrieben hatte, fand 1879 die erste Beisetzung statt. Ganz oben links liegt das Grab von Jeanette Kerp. Die deutsche Inschrift in lateinischen Buchstaben ist so vertraut wie knapp: „Hier ruht in Frieden / Frau Witwe Jeanette Kerp / geb. im Dezember 1801 / gest. im Januar 1879.“ Darüber steht ein hebräischer Text in völlig anderer Tradition: „Hier ist begraben / eine aufrechte und liebliche Frau / ‎‏sie wandelte auf rechtem Wege / ‎‏Wohltat erwies sie all ihre Tage / und leitete zur Geradheit ihre Kinder / es ist Schönle, Tochter des Josef Halevi, sein Andenken zum Segen / ‎‏Witwe des Jizchak Kerp, sein Andenken zum Segen / ‎‏Ihre Seele sei eingebunden in das Bündel des Lebens.“

Die geradezu poetische Inschrift ist nicht der einzige Unterschied zwischen jüdischen und christlichen Begräbnisstätten. Blumenschmuck fehlt, dafür legen Besucher oft kleine Steine auf die Gräber. Die Grabsteine sind aus extrem hartem und haltbaren Stein gefertigt, erklärt Ingrid Heim. „Die jüdischen Gräber stehen für die Ewigkeit.“ Denn die Gräber werden niemals aufgelassen und neu belegt, sondern bleiben erhalten. Bis zum Jüngsten Tag.

Nach dem Krieg sorgte eine überlebende Jüdin aus Gangelt, Emilia Lichtenstein, dafür, dass das Gelände wieder hergerichtet wurde. 31 Steine sind, zumindest in Teilen, erhalten geblieben. Doch die Zerstörungswut der Nazis von 1938 blieb nicht die letzte. Immer wieder tobten sich Judenhasser an den Gräbern aus, viermal alleine in den letzten fünfzig Jahren. In den Jahren 2010 und 2019 wurden wieder praktisch alle Steine umgestürzt, Hakenkreuze und NS-Parolen versprüht.

Termin:

Uhrzeit:

Ort:

Preis:

Sonntag, 16. Juni oder Sonntag, 7. Juli 2024

10.30 Uhr (Dauer ca. 90 Minuten)

Gangelt-Stahe, „Am Wirtsberg“ (zwischen Gangelt und Stahe an der B258)

für Freundeskreis-Mitglieder kostenlos

Die Teilnahme an der Veranstaltung ist nur als Mitglied des Freundeskreises möglich (ggf. Auslosung der vorhandenen Plätze). Bitte melden Sie sich mit Ihren Zugangsdaten an oder registrieren Sie sich kostenlos.

© Ingrid Heim

Ingrid Heim

Den Geheimnissen des alten jüdischen Friedhofs auf der Spur

Nicht nur tragische und traurige Dinge hat Ingrid Heim bei ihren Nachforschungen aufgearbeitet. Der schönste Moment ihrer Recherche war der Kontakt mit dem letzten überlebenden Juden aus Gangelt, Ernest Hartog, der heute in Florida lebt. Hartog konnte mit seiner Mutter vor den Nazis fliehen. In einem Videotelefonat beglückwünschte der 95-Jährige Ingrid Heim zu ihrer Arbeit. „Ich habe mich selten so froh gefühlt“, berichtet sie.

Ihre Arbeit ist noch lange nicht zu Ende, das nächste Projekt steht schon vor dem Start. „Im Laufe des Jahres will ich Texte zu den Stolpersteinen und Orten jüdischen Lebens in Gangelt einsprechen“, erklärt sie. An den jeweiligen Orten werden Tafeln mit QR-Codes angebracht: Wer dann mit seiner Handykamera auf so einen QR-Code zielt, wird zu einer Internetseite mit den Erklärungstexten geleitet. Das jüdische Erbe von Gangelt soll erhalten bleiben – am besten bis zum Jüngsten Tag.

Ihre Begleitung an diesem Vormittag

© Dettmar Fischer

Heimatforscherin

Ingrid Heim

Eine, die sich mit der Geschichte und den Geschichten rund um den Friedhof auskennt, ist Ingrid Heim aus Schierwaldenrath. Seit zwei Jahren erforscht die frühere Lehrerin an der Grundschule Birgden anhand von Urkunden die Geschichten hinter den Grabsteinen und den unübersehbaren Lücken. Auf diese Weise ist es ihr auch gelungen die Namen von 27 bislang nicht bekannten Gangelter Jüdinnen und Juden zu ermitteln, die mutmaßlich auf dem Friedhof beigesetzt wurden. Zehn davon waren Kleinkinder, für die keine eigenen Grabsteine aufgestellt wurden.

Fotos

© Heike Stockem